20.04.2012

Der Verlust der Privatsphäre

in einem Krankenhaus war ganz schön heftig. Und wird es auch immer bleiben.

Auch wenn man das Glück hat, nur hin und wieder einen Bettnachbarn zu bekommen (in den sechs Wochen habe ich fünf Patienten "verschlissen"), ist es doch eine gewaltige Umstellung gewesen. Allein das Gefühl, wegen jeder Kleinigkeit jemanden rufen zu müssen, morgens gewaschen werden zu müssen, weil man sich weder adäquat bewegen kann noch die Kraft dazu hat. Aber für mich das Schlimmste war das auf dieToilette zu gehen. Da liegt man auf diesem Topf und nebenan liegt ein völlig Fremder und bekommt das alles mit. Keine Möglichkeit auch für den Bettnachbarn, das nicht hautnah miterleben zu müssen.
Als Schicksalsgemeinschaft auf Gedeih und Verderb aneinander gekettet. Bei Besuchen bekommt man zwangsläufig die Familieninterna mit, bei der Arztvisite erfährt man die Diagnosen des Nachbarn, die sonst eigentlich nur den Angehörigen noch mitgeteilt werden.
Und wenn es mal was zu diskutieren gibt, was normalerweise innerhalb der eigenen vier Wände bleibt oder bleiben soll, dann muss man eben in dieser Hinsicht Abstriche machen.
Aber ob man will oder nicht, man wird in das Leben eines Fremden mit hineingezogen und gibt gleichzeitig auch einen gehörigen Teil seines Privatlebens auf.

Dabei würde manchmal ein Vorhang zwischen den Betten, den man nach Bedarf vorziehen kann, einige peinliche und als unangenehm empfundene Momente verhindern.

Die Gnade der Amnesie....

oder sollte sich das Vergessen im Nachhinein als Nachteil erweisen?
Fakt ist, dass ich an den Unfall keinerlei Erinnerung mehr habe; ja es fehlen ganze Teile des Tages. So war es mir bisher nicht möglich, mich aktiv an das zu erinnern, was ich anhatte. Nur durch das Fehlen bestimmter Kleidungsstücke kann ich heute nachvollziehen, was es war.
Gut, nicht dass das besonders wichtig ist, aber was mir fehlt ist das Erleben des Unfalls. Der Grund für meine Situation heute und des letzten halben Jahres.
Nur die Aussage "Du hattest einen schweren Unfall" und die Bilder von meinem zerstörten Auto, die Filme auf Youtube und Polizeiberichte beweisen mir, dass ich tatsächlich einen Unfall hatte.
Und natürlich meine Verletzungen. Aber die hätten genausogut von einem Absturz, Treppensturz, Fahrradunfall etc. stammen können; rein erinnerungsmäßig.
Es fehlt der Grund, die Ursache, das Schmerzerlebnis.
In einem Moment fährst Du entspannt auf der Landstrasse und im nächten Moment liegst Du eingegipst und bewegungsunfähig in einem Klinikbett.
Der Grund dafür und die Zeit vom Unfall bis zu diesem Realisierungsmoment (immerhin 8 Tage) sind einfach nicht existent. Auch danach liegen die Tage im Nebel, mal mehr, mal weniger, je nachdem.

So kann ich mich heute nicht mehr daran erinnern, wann ich das erste Mal den ersten Besuch wahrgenommen habe. Dass meine Familie in der ersten Woche vollständig an meinem Bett versammelt war, daran kann ich mich nicht erinnern. Stimmen, das Gefühl, dass ich einmal Nahrung über eine Sonde bekommen habe und dass ich geredet habe; das sind die einzigen Erinnerungen an diese Woche. Aber keine Bilder, obwohl ich meine Augen geöffnet gehabt hatte.
An die zahlreichen Operationen habe ich ebenfalls keine Erinnerung. Weder an die des Sprunggelenks, noch an die des Oberschenkels oder Unterarms. Auch die Halskrause, die ich tragen musste, ist mir heute nicht mehr erinnerlich.
Auch das Erwachen auf der Normalstation; plötzlich war ich da. Nicht dieses melodramatische mit den Augen blinzeln und langsam zu sich kommen. Nein, irgendwann setzt die Erinnerung wieder ein, einfach so. Ob ich davor schon wieder bei mir war und nur durch die starken Schmerzmedikamente zu benebelt war; keine Ahnung.
Vielleicht verdrängt das Gehirn diese schwammige Zeit des Halbdämmerns gnädigerweise. Als Selbstschutz sozusagen.
Aber das Erinnern, oder wenigstens Schmerz sind ein wichtiger Indikator für das Empfinden und Begreifen eines solch traumatischen Geschehens. Wenigstens für mich.

Nur mein rechtes Bein

hat nichts!
Dafür hat meine linke Seite die volle Breitseite abbekommen.
Vorallem mein linker Oberschenkel. Und das linke obere Sprunggelenk. Und das linke Schulterblatt. Und der Dornfortsatz vom HWK 2. Und das linke Ellenbogengelenk. Humerus, Ullna und Radius.
Aus der Reihe tanzt da etwas der rechte Unterarm und das rechte Ohr.
Dazu ein Pneumothorax links, Beckenprellung links.
Aber wie gesagt, als einzige Extremität ist mein rechtes Bein nur mit Hämathomen davon gekommen.
Und das bei einem Frontalzusammenstoß. Gut, etwas von der Mitte versetzt zur Fahrerseite, aber nur minimal.
Das hat man davon, wenn man mit einem Kleinwagen im Strassenduell antritt. Da schiebt es eben mal kurz den Motorblock samt Pedalen nach innen.

Samt Fahrersitz. Mein Laptop kann ein Lied davon singen. Das wähnte sich hinter dem Fahrersitz sicher und dann kommt plötzlich der Sitz aus der Führung nach hinten geschoben. Oder rutschte das Auto ohne den Sitz nach vorne? ;-)
Egal, auf jeden Fall bekam die Tasche einen mächtigen Schlag ab; die Spuren an meinen Notizbüchern und dem Laptop zeugen davon.
Zum Glück hatte ich niemanden mitgenommen, den hätte es auf jeden Fall auch erwischt.
Und ich bin jetzt in Besitz von solch langen "Ami-Krücken". Wegen der Ärmm, wie das hier so schön heisst.
Lassen sich später auch als Rankhilfe für Tomaten verwenden. Oder so;-)


19.04.2012

Es begann im Oktober...

2011.
Es war ein trockener Nachmittag, als auf einer badischen Landstrasse ein ungleiches Duell ausgetragen wurde. Der eine Duellist ein Van, der andere ein Polo.
Ohne voneinander zu wissen machten sich die beiden auf, ihr jeweiliges Ziel zu erreichen; der erste im Süden, der zweite im Norden. Auf der Höhe des kleinen Ortes N. trafen sich die beiden.
Im wahrsten Sinne des Wortes...
Einer davon war ich. Richtung Norden war mein Ziel, nach diesem Zusammentreffen lag mein Ziel etwas westlicher.
Ihr ahnt es, ich war der Polo!
Den Weg zur nächstgelegenen Klinik legte ich mit Christoph 53 zurück; Mist, einmal ein Hubschrauberflug und ich kriege nichts mit!
Auch die Heerscharen von Helfern, Notärzten, Feuerwehrleuten und Sanitätern habe ich nicht mehr registriert. Obwohl sie fast eine Stunde vor Ort mit mir beschäftigt waren.


Seitdem hat sich mein Leben verändert.